Archers Campfire

Ab wann gibt es "Systemschützen" bzw. wer waren die ersten?


Offline Ralf_HH

  • Erfahrener
  • ****
    • Beiträge: 467
  • Bogenschießen lernen und neue Freunde treffen!
Hallo zusammen,

im Lichte der kreativen Verwirrung  8) angesichts von Begriffen wie "traditionell", "instinktiv", "intuitiv" und "Systemschütze" habe ich mich schon desöfteren gefragt, wie eigentlich die Altvorderen geschossen haben - also, um es etwas einzugrenzen, diejenigen, die den Bogen benutzt haben, weil er für denangestrebten Zweck (Jagd oder Krieg) das effektivste zur Verfügung stehende Mittel war. Also beispielsweise die Engländer mit ihren Langbögen, Native Americans, Ureinwohner Mittel- und Südamerikas, mittel- und ostasiatische Bogenschützen verschiedenster Provenienz.

Irgendjemand muss irgendwann auf die Idee gekommen sein, dass es unter bestimmten Umständen (Präzisionsschuss aus ruhender Position, beispielsweise bei der Ansitzjagd oder hinter einer Verschanzung) vorteilhaft sein kann, über eine Achse oder einen Punkt am Bogen zu zielen und ggf. auch den Schießstil entsprechend anzupassen. Ich könnte mir vorstellen, dass zunächst das Zielen über den Pfeilschaft mit sehr hohem Anker aufkam und irgendwann so etwas wie Facewalking und dann das Zielen über die Pfeilspitze daraus wurde, möglicherweise auch schon im Sinne von Gap Shooting. Ob möglicherweise auch schon visierähnliche Vorrichtungen Verwendet wurden (Stöckchen am Bogen) mit der damit verbundenen Möglichkeit, die Schießtechnik in Richtung Kinnanker zu verschieben, wäre aus meiner Sicht eine interessante Zusatzfrage.

Ich vermute mal, dass dedizierte Bogenvisiere erstmals im 20. Jahrhundert aufgekommen sind, möglicherweise mit der Popularisierung des Bogenschießens in den USA.

Gibt es irgendwo eine Quelle, in der man diese Entwicklung der Zieltechniken im historischen Kontext nachlesen kann?
Beste Grüße aus dem Norden, Ralf

Kinetic Forged Stylized 38#@26"
Greenhorn Super Comet (ca. 1988), 38#@26"


Offline Grizzly

  • globaler Moderator
  • Feuerholznachleger
  • *****
    • Beiträge: 1729
Also es gibt irgendwo Fotos von Fred Bear mit Visier am LB aus den 20er oder 30ern.

http://www.archerytalk.com/vb/attachment.php?attachmentid=5518105&d=1475542256


Dann alte Filmchen aus der Zeit bei denen man sehen kann, wie Punkte VOR die Scheiben ins Gras gelegt werden um als Zielmarken verwendet zu werden.
I am the bear, the bear I am. With grey and fuzzy hair. Be aware of my grumble!


Offline ßimon thumb

  • Erfahrener
  • ****
    • Beiträge: 405
In Westasien gibts das sicher schon länger als tausend Jahre. Arab-Archery (15.Jh) beschreibt eindeutig Systemschießen (Gap). Und zwar nicht als etwas neues, sondern es wird (wie auch in anderen Quellen, älter und jünger) Meisterschützen zugeschrieben, die zu Zeiten lebten, als hier noch Römer am Limes rumgelungert haben. (z.B. Tahir al-Balkhi, Enkel von Shapur III -> vor 500 n.Chr.)
Mit dem ELB war wohl Horace Ford sicher einer der ersten prominenten Systemschützen. (Mitte 19.Jh)
Wie siehts mit Japan, Korea und China aus?


Offline Ralf_HH

  • Erfahrener
  • ****
    • Beiträge: 467
  • Bogenschießen lernen und neue Freunde treffen!
Das Foto ist für mich in zweierlei Hinsicht interessant: Nicht nur wegen des erahnbaren Visiers, sondern vor allem dessen, weil Bear offenbar mit Kinnanker schießt. Da letzterer beim Zielen über die Pfeilspitze wenig Sinn ergibt - es sei denn, auf sehr lange Distanzen - wurde hier offenbar tatsächlich der Kinnanker als passender "Schießstil zum Visier" angesehen, denn theoretisch könnte man auch mit höherem Anker ein Visier verwenden.

Wobei... ich habe gerade mal nach "Olympic Archery Vintage" gesucht und die Bildersuche liefert mir überwiegend visierlose Langbögen, die im Kinnanker geschossen werden, übrigens überwiegend von Damen! Und ich erinnere mich, mal in einem Katalog von Robin Sport gelesen zu haben, dass bei den Olympischen Spielen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für das Schießen auf 90 m auf der Brust geankert werden musste. Möglicherweise war vor dem Aufkommen der Glaslaminate und der Recurvebögen das Material so deutlich langsamer, dass die Kombination "Kinnanker und visierlos" funktionieren konnte.

Es bleibt verwirrend  8)
Beste Grüße aus dem Norden, Ralf

Kinetic Forged Stylized 38#@26"
Greenhorn Super Comet (ca. 1988), 38#@26"


Offline roscho

  • Administrator
  • Meister Feuerholznachleger
  • *****
    • Beiträge: 7678
Zumindest die Koreaner haben sich auch am Bogen orientiert.
Von den anderen weiß ich es nicht sicher.
Muss ich den Gao Ying noch mal wälzen.
Bogenschiessen ist einfach, aber nicht leicht ;)

"Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk,
und der rationale Verstand ein treuer Diener.
Wir haben eine Gesellschaft erschaffen,
die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat."

* Albert Einstein


Offline roscho

  • Administrator
  • Meister Feuerholznachleger
  • *****
    • Beiträge: 7678
Warbows wurden an der Bogenschulter geankert.
Ich meine mich zu entsinnen gelesen zu haben das der Kinnanker zu Beginn des 20 Jhds zum olympischen Schießen erfunden wurde um besser über die Spitze zielen zu können.
Auf allen alten Bildern wird der Bögen immer senkrecht gehalten.

Historische europäische Quellen wird es wenig geben da Bogenschiessen (im Gegensatz zum Osten) als nicht ritterlich angesehen wurde und der einfache Bauer relativ wenig aufgeschrieben hat.

Die Fechtkunst ist toll dokumentiert ;)
« Letzte Änderung: Februar 05, 2018, 05:46:18 Nachmittag von roscho »
Bogenschiessen ist einfach, aber nicht leicht ;)

"Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk,
und der rationale Verstand ein treuer Diener.
Wir haben eine Gesellschaft erschaffen,
die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat."

* Albert Einstein


testjan

  • Gast
Vermutlich lässt sich leichter sagen, wer ganz sicher ohne System geschossen hat. Die Khoisan z.B., bei den winzigen Bögen und ohne Ankerpunkt ergibt kein System einen Sinn. Ähnliches könnte man bei den Steppenindianern und ihren kurzen Bögen vermuten, dasselbe bei den asiatischen Reitervölkern - im Galopp kann man nicht zielen.

Ansonsten bleibt vieles Spekulation, so lange kein Archäologe ein prähistorisches Shibuya, aus einem Haifischgerippe geschnitzt, ausgräbt oder ein im Moor konservierter Langbogen mit Markierungen im oberen Wurfarm gefunden wird.


Offline Stringwistler

  • Foren-Schatz
  • Meister Feuerholznachleger
  • ******
    • Beiträge: 9396
  • Der Bogen schießt... aber die Sehne trifft...
    • Bestandssehnen vom Stringwistler unter.....
Jetzt geht das hier schon wieder an.... nenenene.... ich sag diesmal bestimmt nix dazu.... ;D
Servusla, Gruß Guidl...

https://stringwistler.blogspot.de/

bald nen Spatz TD vom Chris😉
Stegmeyer TD- Hybrid 60"40lb@30"
Gravity Janus 17"ILF mit dito.
White Feather Lark 19"Junxing Pharos Hybr.63",
Jensbows Rayden 64"-38lb.3stripes-rubyred, 65"ILF-Amey XGS Ghosthand+Bosenbows doplCarbonFoamLBs


Offline Ralf_HH

  • Erfahrener
  • ****
    • Beiträge: 467
  • Bogenschießen lernen und neue Freunde treffen!
Okay, dann würde das passen. Zielen über die Pfeilspitze und relativ langsames Material, kombiniert mit Distanzen jenseits der 50 Meter, könnte dafür gesorgt haben, dass sich der Kinnanker als überlegenes System durchgesetzt hat. Die Bilder und Eure Ausführungen zeigen mir, dass offenbar zumindest im Bereich des Wettkampfs in viel größerem Umfang Systeme geschossen wurden, als ich das für wahrscheinlich gehalten habe. Und es scheint ja tatsächlich so zu sein, dass die relative Überlegenheit des Systemschießens (außerhalb einer Kampfsituation in Bewegung, wie sie Mescalero beschreibt) offenbar schon in der Antike bekannt war. Wenn ich mir zeitgenössische Darstellungen z. B. aus der Renaissance ansehe, könnte es so gewesen sein, dass beim Zielschießen über die Pfeilspitze gezielt und je nach Entfernung die Höhe des Ankers variiert wurde.

Jetzt wüsste ich zu gern, wann sich der erste Bogenschütze ein Stöckchen an den Bogen gebunden hat, um besser zielen und/oder (aus seiner Sicht) biomechanisch angenehmer ankern zu können  8) Aber Ihr habt schon Recht, das wird sich nicht sicher herausfinden lassen, solange man nicht entsprechende Funde macht oder noch unbekannte Abbildungen ausgräbt...
Beste Grüße aus dem Norden, Ralf

Kinetic Forged Stylized 38#@26"
Greenhorn Super Comet (ca. 1988), 38#@26"


testjan

  • Gast
Der erste Schritt wäre ja eine Kerbe oder andere Markierung auf dem Wurfarm. Quasi die Vorstufe des Visieres. In den Büchern „Native American Bows...“ von Jim Hamm und Steve Allely sind unzählige, auch lange, Bögen dokumentiert, die mit großer Wahrscheinlichkeit vom Boden aus geschossen wurden. Kein einziger hat irgendetwas am Wurfarm. Die wussten halt schon vor 200 Jahren, dass die Verbände das sowieso verbieten würden...😁


Offline Absinth

  • Meister Feuerholznachleger
  • *****
    • Beiträge: 3500
  • Einer trage des anderen Last...
Zur Frage:
Meiner Meinung nach seitdem es Bogenschützen gibt - vermutlich war es damals schon so, dass einjeder wollte das beste und größte Stück "ergattern" und dies mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, wer schnell lernte hatte eindeutig Vorteile, dies konnte wunderbar das eigene und das Überleben der Sippe sichern usw. usw.

Ich bin halt der Meinung, dass auch in diesem Bereich Entdeckungen gemacht wurden und diese dann genutzt und verfeinert wurden...

Das sog. intuitive Schiessen ist eine schöne Art der Nostalgie, welcher ich mich auch sehr gern widme/fröne und diese mir ungern lasse kaputt machen...  ;-)


Beste Grüße,
Absinth

« Letzte Änderung: Februar 05, 2018, 06:35:56 Nachmittag von Absinth »


Offline ßimon thumb

  • Erfahrener
  • ****
    • Beiträge: 405
Ich meine mich zu entsinnen gelesen zu haben das der Kinnanker zu Beginn des 20 Jhds zum olympischen Schießen erfunden wurde um besser über die Spitze zielen zu können.

Das kann nicht stimmen, da dies in Fords Buch von 185X bereits so beschrieben ist. -> spätestens Mitte 19. Jh!


Offline roscho

  • Administrator
  • Meister Feuerholznachleger
  • *****
    • Beiträge: 7678
 :agree:
Hab auch heute nochmal nachgelesen
Bogenschiessen ist einfach, aber nicht leicht ;)

"Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk,
und der rationale Verstand ein treuer Diener.
Wir haben eine Gesellschaft erschaffen,
die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat."

* Albert Einstein


testjan

  • Gast
FB-Fundstück: https://www.facebook.com/archery.duns/videos/1005063686247107/

Es geht mehr ums Equipment und Pfeilbau usw., einige der Damen sieht man aber ebenfalls mit Kinnanker schießen. Hoffentlich ist das Video auch für Nicht-Facebooker zu sehen, ich weiß nicht, wie ich das sonst verlinken kann.