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Bogenschießen => Bögen => Thema gestartet von: testjan am Januar 24, 2018, 12:03:45 Nachmittag

Titel: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: testjan am Januar 24, 2018, 12:03:45 Nachmittag
Die Frage geht in erster Linie an Bauingenieure, Bogenbauer und andere Spezialkräfte, die sich mit der Theorie der Bogenphysik auskennen.

Man hört oder liest immer mal wieder von Bögen, die „gebaut sind, um schwere Pfeile ordentlich zu verschießen“. Gibt es das oder ist das eher so etwas wie eine Entschuldigung für langsame Bögen oder weniger effiziente Designs?
 
Besonders von oldschool Hill-Style Bögen wird das gern behauptet. Aber würde nicht ein Recurve oder moderner LB schwere Pfeile mindestens genauso gut werfen wie der gerade Langbogen, wahrscheinlich sogar sehr viel besser?
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Polaris am Januar 24, 2018, 01:07:08 Nachmittag
Ich denke, dass ein typischer Vertreter wohl der ELB wäre... (English Long Bow)... Hohes Zuggewicht und schwere Pfeile sorgen für eine hohe kinetische Energie... Pfeilgeschwindigkeit ist dann eher zweitrangig...

Auch das Groß der Bogen "Designs" die u. a. auf steinzeitlichen Funden basieren, kam (und kommt) es weniger auf eine hohe Pfeilgeschwindigkeit an... die Schussentfernung lag (liegt) bei 15 - 25 Meter, da spielt die Geschwindigkeit keine Rolle... da kommt es eher drauf an, dass die Beute  durch einen effektiv- schweren Pfeil zur Strecke gebracht wurde... Ein schwerer Pfeil war (und das weiß ich auch von meinen selber gebauten Bögen) auch besser für die Haltbarkeit der Bögen...


Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Ralf_HH am Januar 24, 2018, 01:40:31 Nachmittag
Das Spannende daran ist, dass offenbar die kinetische Energie eines aus dem selben Bogen geschossenen Pfeils mit steigendem Pfeilgewicht bis hin zu absurden Gewichten jenseits der 1000 gn immer noch zunimmt, obwohl die Masse im Gegensatz zur Geschwindigkeit nur linear in die kE eingeht. D. h. der Wirkungsgrad des Bogens steigt auch bei extrem schweren Pfeilen mit steigender Pfeilmasse noch an.

Beim Impuls, der nach Ansicht der Bogenjagd-Spezialisten für die Durchschlagsleistung wichtiger ist als die kE, ist es noch drastischer, weil da auch die Geschwindigkeit nur linear eingeht.

Theoretisch könnte es einen Bereich geben, in dem mit weiter steigender Pfeilmasse die kE ab- und der Impuls trotzdem noch zunimmt. Dies ist aber vermutlich erst bei extrem hohen Pfeilgewichten der Fall, die völlig jenseits realistischer Werte liegen.

Insofern spricht bei überschaubaren Schussentfernungen unter jagdlichen Gegebenheiten tatsächlich einiges für den schweren Pfeil. Aber ich jage ja nicht, und wenn ich selbst lieber leichte Pfeile schieße, dann deshalb, weil sie durch die flache Flugbahn bezüglich einer unsauber geschätzen Entfernung toleranter sind.
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Zwerg am Januar 24, 2018, 01:40:46 Nachmittag
Schwerere Wurfarme sind nicht sehr schnell und die Geschwindigkeit nimmt bei einem schweren Pfeil dann auch nicht so überproportional ab.
Leicht Wurfarme mit schweren Pfeil ist dann umgekehrt.
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: ravenheart am Januar 24, 2018, 04:25:55 Nachmittag
Ja, so würde ich das auch einschätzen!

Die schweren Wurfarme lassen sich, erst mal in Bewegung, weniger leicht abbremsen, wodurch sich der Schubweg verlängert.

Bei leichten WA gibt es am Anfang viel Schub, gegen Ende aber weniger.

Schwere WA kommen nicht so schnell in Fahrt, bleiben dann aber länger dabei.

Das ist für schwere Pfeile vorteilhaft! Langsamer, aber konstanter geschoben können sie mehr Energie übernehmen.

Das kann jeder zu Hause überprüfen:
Stellt das Auto OHNE gezogene Handbremse auf eine ebene Straße:
Einmal rennt Ihr mit Schmackes dagegen
(das entspricht einer hohen Anfangsbeschleunigung, die aber dann stark abnimmt)  ;D
das 2. Mal lehnt Ihr Euch gegen und drückt mit Kraft ein Stück weit (was einer langsamen, aber konstanteren Beschleunigung entspricht).

Beim 2. mal rollt der Wagen weiter. q.e.d.

Rabe
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Stringwistler am Januar 24, 2018, 05:34:53 Nachmittag
Ob das wirklich nur auf das reine Gewicht des Wurfarmes zurück zuführen ist, na ich weiß nicht?  ::)
Eiem Black Widow Recurve wird ja nachgesagt, mit schweren Pfeilen am besten zu arbeiten.
Wenn ihr euch jetzt mal das vordere 1/3 des Wurfarmes mit Tip anschaut.... So schmal und filigran und sicherlich auch nicht die schwersten...
Es hängt eindeutig mehr mit der Bauform und Wirkungskurve zusammen... Anfangs schon gut Schmackes... verleiht dem Pfeil am Schluss nochmal extra Energie... Aber das sollen wirklich mal die Bogenspezialisten hier weiter erklären...  ;D
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: testjan am Januar 24, 2018, 05:46:20 Nachmittag
Ja, das klingt einleuchtend. Polaris‘ Anmerkungen zu historischen Bögen auch, wobei die wohl eher so aussahen, weil man es eben nicht anders/besser machen konnte, mangels Knowhow oder Material.

Mir ging es auch eher um moderne Bögen. Trotzdem beißt sich die Katze in den Schwanz. Praktisch jeder Hersteller oder Bogenbauer bemüht sich, leichte Wurfarme zu bauen, manche werben sogar damit, besonders filigrane und leichte Wurfarme zu produzieren. Und gleichzeitig gibt es angeblich Bögen, die „dazu gedacht sind, schwere Pfeile zu verschießen“ - ich verstehs nicht.
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: AndiE am Januar 24, 2018, 06:08:54 Nachmittag
Hallo

Man baut einen Bogen so dass er einen hohen stored energy Wert hat (entscheidend ist die Geometrie) und schon hat man den idealen Jagdbogen für größeres Getier. Der Wirkungsgrad interessiert hier nur zweitrangig.
Die besten Bögen dafür sind z.B. der Border Covert Hunter, der Centaur Longbow, die Dryads und A&Hs... und diese haben alle sehr leichte Wurfarme.
Ich lese viel in amerikanischen Foren und zu solchen Themen kann man da sehr viel lernen, besonders von Sid (Border Archery). Der kann in einen einzigen Beitrag mehr Infos packen als andere in ein ganzes Buch.

MfG
      Andi
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Polaris am Januar 24, 2018, 06:46:31 Nachmittag
Ja, das klingt einleuchtend. Polaris‘ Anmerkungen zu historischen Bögen auch, wobei die wohl eher so aussahen, weil man es eben nicht anders/besser machen konnte, mangels Knowhow oder Material.

....


Oh, da bist du auf dem Holzweg... man geht heute davon aus (nach Funden in Frankreich), dass der Gebrauch von Pfeil und Bogen schon seit 50.000 Jahren bekannt ist... d. h. - unser Vorfahren hatten sehr lange Zeit sich an höchst effektive Bogendesigns heran zu arbeiten... Ein gut gebauter Selfbow kann es schon mit mit modernen Bögen aufnehmen.... Eins ist aber richtig... letztlich war der Bogenbau aber  vom verfügbaren Holz abhängig...
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Zwerg am Januar 25, 2018, 07:51:59 Vormittag
Solange immer die gespeicherte Energie mit der Pfeilgeschwindigkeit, und somit der kinetischen Energie mit Hilfe des Wirkungsgrades beurteilt wird bekommt man keine Antwort zu dem Thema. Um die Situation richtig zu bewerten ist der Gütegrad das richtige Maß. Der Gütegrad vergleicht die tatsächlich zur Verfügung stehende Energie zur genutzten Energie. Das heißt das systematische Verluste nicht mit eingerechnet werden da ich an diesen nichts ändern kann. Bei Verbrennungsmotoren ist der Gütegrad ca. 80% dagegen ist der Wirkungsgrad um 45 %.
Beim Bogen ist der größte Faktor die Trägheit der Wurfarme welche sich aus der Masse und dem Tiller ergibt, also nicht nur schwer ist schlecht auch das Design spielt hier eine Rolle. Tiller und Trägheit ist ein wenig kompliziert aber ich versuche es mal.
Die Trägheit ist die Eigenschaft von Körpern, in ihrem Bewegungszustand zu verharren, solange keine äußere Kraft auf sie einwirkt. Die sogenannte träge Masse gibt die Größe der Trägheit an, je größer diese ist umso weniger beeinflusst eine Kraft deren Bewegung oder deren Ruhezustand. Diese Trägheit ist bei geradliniger Bewegung recht einfach, denn jeder kann nachvollziehen das ein Auto leichter aus einem Ruhezustand anzuschieben ist als ein LKW, welcher in aller Regel sehr viel schwerer ist.
Wenn wir uns aber die Bewegung des Bogenendes betrachten haben wir hier keine lineare Bewegung sondern eine kreisformähnliche Bewegung. Bei einer Drehbewegung bestimmt  nicht nur die Masse alleine, wie bei der geradlinigen Bewegung, die Trägheit, sondern auch der Abstand zu der Drehachse.
Das so genannte Trägheitsmoment, oder der Widerstand gegenüber einer Änderung der Rotationsgeschwindigkeit, setzt sich also aus der Masse sowie deren Abstand vom Drehpunkt zusammen, wobei die Masse linear und der Abstand quadratisch eingehen. Welch großen Unterschied der Abstand macht sehen wir bei einer Pirouette im Eiskunstlaufen, bei gleicher Masse ist die Drehgeschwindigkeit wesentlich größer wenn der Schlittschuhläufer die Arme zum Körper hin bewegt und so den Abstand zur Drehachse verringert, denn der Drehimpulse bleibt gleich und ein erneutes „Schwung“ holen ist nicht erforderlich um wieder zu beschleunigen.
Zur Ermittlung des Drehpunktes können wir  den Momentanpol benutzen. Dies ist eine Bezeichnung aus der Kinematik und bezeichnet den Punkt um welchen ein Körper zu einem momentanen Zeitpunkt eine reine Drehung ausführt, auch wenn seine Bewegung im großen ganzen eine Überlagerung von geradliniger als auch rotatorischer Bewegung ist. Da wir das in einer Bewegungsebene betrachten lässt sich der Momentanpol aus 2 verschiedenen Positionen bestimmen. Im Prinzip funktionier es wie bei der Wendepunktbestimmung eines Autos. Wenn wir die Achslinien rechtwinkelig zu den Reifen verlängern treffen diese in einem Punkt zusammen welcher den Mittel oder Drehpunkt des Wendekreises darstellt.
Wenn wir uns den gesamten Wurfarm eines Bogens in einzelne Stücke aufgeteilt vorstellen, können wir den Momentanpol bestimmen um welchen sich ein jedes Teilstück des Wurfarmes dreht. Genauso wie ich beim Auto die Achsen hierzu nehme, kann ich auch die Geschwindigkeiten heranziehen um den Punkt zu finden. Bei jedem Teilstück ist die Geschwindigkeit am oberen Ende höher als am Unteren, im ganzen gesehen bewegt sich das Bogenende ja auch schneller als ein Stück welches nahe am Griff ist. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten können wir als Pfeile darstellen. Verbinden wir die Spitzen dieser Pfeile mit einer Geraden werden diese übertragen auf beide Positionen,  Anfang und Ende der Bewegung einen gemeinsamen Schnittpunkt haben, den Momentanpol M. Dies ist der Mittelpunkt der Bewegung welche das Teilstück des Wurfarmes von der einen zur anderen Position vollführt.
Wenn ich jetzt den Bogen optimiere um die "restliche" Energie best möglich umzusetzen habe ich einen Bogen der sowohl schwere als auch leichte Pfeile optimal wirft, beide extreme sind nicht von Vorteil ein weiter Bereich von Pfeilgewichten ist da eher gewünscht.

Zwerg
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: roscho am Januar 25, 2018, 07:59:15 Vormittag
Schwere Kost ;) - jetzt weiss ich warum ich lieber schiesse und nicht baue.

Danke für diese ausführliche Erklärung.
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: testjan am Januar 25, 2018, 08:04:43 Vormittag
Wow, danke!
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Zwerg am Januar 25, 2018, 08:09:13 Vormittag
Roscho, das ist bei mir umgekehrt  8)
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: roscho am Januar 25, 2018, 08:38:11 Vormittag
Roscho, das ist bei mir umgekehrt  8)

 ;D ;D ;D ;D

Hast du nicht mal Lust zum AC Treffen nach Buch zu kommen und ein paar "Muster" mitzubringen ?


Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Sonuka am Januar 25, 2018, 08:52:53 Vormittag
Aber, um ehrlich zu sein, kann ich mit Erklärungen von Zwerg deutlich mehr anfangen als mit irgendwelchem historischen Hokus-pokus-klangschalen-Theorien.
Danke für die Erklärung. Aber das würde bedeuten, dass man durchaus, wenn man mit der Methode Versuch und Irrtum an das Designen eines Bogens rangeht, einen Bogen bauen kann, der in schwere Pfeile mehr Energie packen kann, als in leichte? Oder habe ich das Missverstanden?
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Zwerg am Januar 25, 2018, 09:37:46 Vormittag
Naja ein leichter Pfeil ist ja immer schneller nur die Frage ist ja wie kann ich verhindern das die Geschwindigkeit mit schweren Pfeilen überproportional einbricht.
Anbei ein Diagramm eines Bogens der vom ersten Entwurf (blaue Linie) für schwerere Pfeile optimiert worden ist.

Zwerg

P.S.
Zitat
mehr anfangen als mit irgendwelchem historischen Hokus-pokus-klangschalen-Theorien
Naja ich finde es auch schwer wenn ich lese,  konstanter geschoben können sie mehr Energie übernehmen,
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Sonuka am Januar 25, 2018, 11:24:52 Vormittag
Darum geht es ja, wenn ich einen Bogen schießen möchte, der besser mit schwereren Pfeilen klarkommt, dass er diese besser Beschleunigt. Dann haben eben auch schwerere Pfeile eine nach Möglichkeit flacherer Kurve. Ich hab mich da ja wegen meinem Mephisto ausgiebig mit deiner Excell-Tabelle zum Thema "Ballistischer Flug" auseinandergesetzt.
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Zwerg am Januar 25, 2018, 11:33:42 Vormittag
Da hast Du sicher recht wenn es um ein praktikables Setup geht. Bei excellenten Schützen mit richtig guter Technik ist aber immer noch der max leichte Pfeil die erste Wahl.
Leider gibt es immer wieder Schützen die sich dafür halten es aber nicht sind, dann wird an alles sieben Ecken diskutiert was es sein könnte. Da wären wir wieder bei den Klangschalen. 
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: ravenheart am Januar 25, 2018, 12:07:47 Nachmittag
...ja, das ist ja das Fatale am "Dreipunkt-System" Bogen-Pfeil-Mensch, dass es so viele (schwer mathematisch zu fassende) Faktoren gibt!

Dass ein Bogen mit leichten WA und hoher Effektivität leichte Pfeile schneller bzw. weiter wirft als ein engl. Langbogen, ist noch gut mit unserer Alltagserfahrung vereinbar.

Dass bei den SELBEN beiden Bogen dann aber, wenn klassische englische Kriegspfeile aufliegen, plötzlich der ELB die größere Weite erreicht, erstaunt.

Irgendwann wird jemand auch eine nachvollziehbare physikalische Berechnung zustande bekommen, warum das so ist (ähnlich wie mit der Flugfähigkeit von Hummeln...)...
Bis dahin kann man nur versuchen es "sich" zu erklären....

Rabe
Titel: Re: Bogendesign und Bögen für schwere Pfeile
Beitrag von: Zwerg am Januar 25, 2018, 01:20:12 Nachmittag
Zitat
Irgendwann wird jemand auch eine nachvollziehbare physikalische Berechnung zustande bekommen, warum das so ist (ähnlich wie mit der Flugfähigkeit von Hummeln...)...
Bis dahin kann man nur versuchen es "sich" zu erklären....

Das mache ich bei jedem Bogen, daher das Diagramm.
Bei der Hummel hat jemand nicht verstanden wie Aerodynamik funktionier, das ist schon lange erklärt und berechnet.

Zwerg

P.S Energie übergeben funktioniert leider nicht, der Begriff Energie ist eine abstrakte Rechengröße um Veränderungen zu beschreiben. Mir wir gerade klar warum Du Berechnungen nicht nachvollziehen kannst.....